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Handbuch

Betroffenenvertreter in KSHN

Mit der Etablierung der Kommunalen Suchthilfenetzwerke stellte sich für die Akteure der Suchtselbsthilfe die Frage, worin sich diese neuen Vernetzungsstrukturen von den vielerorts vertrauten Arbeitskreisen Sucht unterscheiden und welche Schlussfolgerungen sich daraus für die Mitwirkung der Suchtselbsthilfe in KSHN ergeben sollten. Es wurde rasch deutlich, dass es in der Arbeit der KSHN eben nicht nur um eine regelmäßige Kontaktpflege und die Entwicklung gemeinsamer Aktionen gehen sollte, sondern dass hier die gesamte Versorgungsstruktur für Menschen mit Suchtproblemen im Sozialraum auf den Prüfstand gestellt werden sollte („Steuerung“). Damit war klar, dass einerseits die Erfahrungen der Suchtselbsthilfe eingebunden werden müssen, dass andererseits aber eine Perspektive wünschenswert wäre, die das gesamte Spektrum der Suchthilfen im Blick hat, nicht nur die vertrauten und für wünschenswert erachteten abstinenzorientierten Hilfen.

 

In der Fachgruppe Selbsthilfe im Diakonischen Werk Württemberg entstand so die Idee für ein Projekt „Betroffenenvertreter in KSHN“, mit dem die Möglichkeit einer umfassenderen Beteiligung der Menschen mit Suchterfahrung in den KSHN geprüft und entwickelt werden sollte. Dieses Projekt ist inzwischen in die Trägerschaft der BWAG übergegangen, wird aber weiter aus den Mitteln der Selbsthilfeförderung der DRV BW an das DWW gefördert. Jährlich wird im Projekt drei Mal zu einem überregionalen Erfahrungsaustausch eingeladen und zudem fanden bislang zwei landesweite Arbeitstage statt.

Wer Betroffenenvertreter in den KSHN sein will, sollte – als Betroffener oder Angehöriger – eigene reflektierte Erfahrungen mit Abhängigkeitsstörungen haben und in der Suchtselbsthilfe verankert sein. Andererseits muss er/sie aber auch bereit und in der Lage sein, über die eigene Lebens- und Gesundungserfahrung hinaus „nüchtern“ wahrzunehmen, welche Hilfen betroffene Menschen brauchen und konkret nutzen können. Die in der Suchtselbsthilfe vertraute Abstinenzorientierung kann insofern immer nur eine bedingt nutzbare Grundlage für eine wirksame Mitarbeit sein.

 

Gleichzeitig scheint es nach den Erfahrungen der bisherigen Projektarbeit wichtig, dass nicht für eine völlige Beliebigkeit von Hilfeangeboten plädiert werden soll, bei der jeder Betroffenenvertreter nur nach seiner persönlichen Lebenserfahrung sich positionieren sollte. Vielmehr besteht der Anspruch, dass sich die Beteiligten im Projekt im Lauf der Zeit auf gemeinsame Standards für qualifizierte und notwendige Hilfen verständigen sollten. Nur so kann der Anspruch eingelöst werden, dass Betroffenenvertreter auch ohne eine formelle Mandatierung tatsächlich gemeinsame Interessen betroffener Menschen vertreten. Solche gemeinsamen Handlungsorientierungen für Betroffenenvertreter könnten auch die bisherigen Formen einer Mandatierung durch eine möglichst große Zahl der regionalen Selbsthilfegruppen stärken.

Der originäre Aufgabenbereich der Betroffenenvertreter, wie wir ihn im Projekt definiert haben, beschränkt sich auf die Beteiligung an den Steuerungsdiskussionen in den KSHN. Die Betroffenenvertreter sind also nicht automatisch auch Vertreter der gesamten Suchtselbsthilfe in einem Landkreis, sie sind nicht automatisch auch für andere Gremien mandatiert und sie verstehen sich auf keinen Fall als Ombudsleute für abhängige Menschen, sind also nicht generell Sprachrohr für alle Interessen betroffener Menschen und ihrer Angehörigen.

Das Engagement als Betroffenenvertreter erfordert ein gesundes und realistisches Selbstbewusstsein, denn es gilt sich im Kreis von professionellen Interessenvertretern angemessen und kompetent zu behaupten. Das kann immer wieder Ängste auslösen oder auch das Gefühl, den Anforderungen nicht gewachsen zu sein. Gleichzeitig sind Personen in dieser Rolle aber auch „verführbar“ durch die scheinbare große Bedeutung ihrer Mitarbeit. Das Projekt „Betroffenenvertreter“ versucht solchen Risiken entgegen zu wirken, indem es diese Funktion als Aufgabe versteht, die gemeinsam von  allen Projektbeteiligten getragen werden sollte. Damit dies möglich ist, müssen Betroffenenvertreter tatsächlich einiges an gemeinsamer Zeit investieren und bereit sein, sich mit den erarbeiteten Papieren und Überlegungen intensiv auseinanderzusetzen, aber auch eigene Fragen und Unklarheiten für die anderen zu formulieren.

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