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Handbuch

Suchtvereinbarung

 

Mit dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) von 1968 zur Anerkennung von Sucht als behandlungsbedürftige Krankheit sah sich die bis dahin ebenfalls in der Suchtbehandlung engagierte Rentenversicherung nicht mehr grundsätzlich leistungszuständig. Diese Entwicklung wurde noch dadurch verstärkt, dass es in den Folgejahren veränderte gesetzliche Regelungen zur Leistungsverpflichtung der Krankenversicherung gab. Diese Klienten und Einrichtungen sehr belastende Situation wurde erst Anfang 1978 durch drei Urteile des BSG insofern geklärt, als dieses feststellte, dass im Prinzip Krankenversicherung und Rentenversicherung für Maßnahmen der Abhängigkeitsbehandlung zuständig seien. Beide Leistungsträger folgten dann auch der gerichtlichen Empfehlung und verständigten sich noch im gleichen Jahr in der sog. Suchtvereinbarung von 1978 auf die Grundzüge einer geteilten Leistungszuständigkeit: danach sollte für die stationäre Entwöhnungsbehandlung vorrangig die Rentenversicherung und für notwendige Entgiftungsbehandlungen die Krankenversicherung zuständig sein.

Die Suchtvereinbarung ist also nur eine Verständigung der beiden potentiellen Leistungsträger, um Kostenantragsverfahren zu vereinfachen und daraus resultierende Konflikte möglichst zu vermeiden. Sie ist keine gesetzliche Regelung.

Die Suchtvereinbarung regelt zudem nur die damals gängigen Behandlungsmaßnahmen. Leistungszuständigkeiten für ambulante Entgiftungsbehandlungen, bei denen es ja nicht primär um eine medizinische Akutbehandlung geht, oder auch die für Motivierungsmaßnahmen (z.B. im Rahmen eines sog. qualifizierten stationären Entzugs) sind genauso wenig grundsätzlich geklärt wie die Frage einer partiellen Leistungszuständigkeit für die psychosoziale Betreuung bei Substitution. Die höchstrichterliche Feststellung von 1978, dass letztlich Rentenversicherung und Krankenversicherung für Leistungen der Suchtbehandlung zuständig seien, hat bis heute Bestand – ein einheitliches Leistungsrecht für abhängigkeitskranke Menschen bleibt deshalb eine immer noch unerledigte Forderung an die Politik. Der Versuch mancher Akteure in der Suchtmedizin, das eigene Leistungsspektrum innerhalb der Leistungszuständigkeit Krankenversicherung auszuweiten, muss insofern unbefriedigend bleiben.

Andererseits macht die Suchtvereinbarung deutlich, dass es neben allen leistungsrechtlichen Regelungen eine relativ große Freiheit auch zu bedarfs- und patientengerechten Versorgungsregelungen zwischen den verschiedenen Leistungsträgern geben könnte – wenn alle Beteiligten dies wollen (und sich im Ergebnis davon einen Vorteil versprechen).

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