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Handbuch

Leistungs- und Kostenträger

 

Da Sucht als bio-psycho-soziale Störung und damit als systemische Störung oder Krankheit verstanden wird, erweist es sich oft als schwierig, notwendige oder sachlich sinnvolle Hilfen zwingend einzelnen Sozialleistungsrechten zuzuordnen. Betroffen / beteiligt können sein: im Hinblick auf eine medizinische Behandlung die Sozialgesetzbücher (SGB) V und VI, im Hinblick auf eine Arbeitsintegration die SGBs II, III, aber auch VI und XII, im Hinblick auf eine Förderung sozialer Teilhabe das SGB XII, bei Kindern mit Suchtproblemen das SGB VIII und bei pflegebedürftigen Suchtkranken auch das SGB XI.

 

Ein historisch erster gangbarer Ausweg war die Suchtvereinbarung zwischen den Leistungsträgern der Kranken- und denen der Rentenversicherung, die in diesem Papier ihre Zuständigkeit für einzelne Teilleistungen einer medizinischen Behandlung definierten. In der Versorgungswirklichkeit aber gibt es neben den damit etablierten Hilfeangeboten weiterhin eine ganze Reihe von „Schnittstellen“, für die bislang noch keine umfassend tragfähigen Lösungen gefunden worden sind und an denen wirksame Hilfen in der Praxis oft scheitern.

 

Eine solche Schnittstelle ergibt sich bei Hilfen für Kinder und Jugendliche mit einer bereits massiven Suchtproblematik. Die Differenzierung zwischen einer medizinischen Behandlung, rehabilitativen Bausteinen im Sinne einer Psychoedukation oder Maßnahmen der entwicklungsfördernden Jugendhilfe kann immer nur willkürlich sein: im Projekt JUST wurde deshalb vor einigen Jahren eine Maßnahmenpauschale vereinbart, die von allen beteiligten Kostenträgern anteilig finanziert wurde.

Eine andere Schnittstelle ergibt sich bei Angeboten zur Früherreichung suchtkranker Menschen, z.B. durch die Konzepte einer qualifizierten ambulanten Alkoholentgiftung: hier greifen die gewohnten Regularien der Suchtvereinbarung nur bedingt, sodass die Krankenkassen auf andere Finanzierungsoptionen zurückgreifen, in diesem Fall die hausarztzentrierte Versorgung. Dabei entsteht aber – ähnlich wie bei Modellen einer „integrierten Versorgung“, die grundsätzlich die Einbindung von Leistungsbausteinen ermöglichen, die nicht zum verpflichtenden Leistungsumfang der Krankenversicherung gehören – die Schwierigkeit, dass solche Modelle jeweils nur für Versicherte einzelner Krankenkassen gelten, was für die ärztliche Zuweisung und für die Gewinnung ausreichender Teilnehmerzahlen dann aber zum wesentlichen Problem im Praxisalltag werden kann. Weitere vergleichbar ungelöste Schnittstellen finden sich z.B. im Leistungsbereich der Förderung einer beruflichen Teilhabe (für die nach unterschiedlichen Grundsätzen sowohl das SGB II wie die medizinische Suchtreha zuständig sein können), bei der Mitaufnahme von Kindern abhängiger Eltern in die stationäre Suchtreha, im ambulant betreuten Wohnen für Suchtkranke (bei dem im Einzelfall Leistungen der Rehanachsorge und der Eingliederungshilfe sich überschneiden können).

 

Im Einzelfall kann man natürlich bei solchen Zuständigkeitskonflikten auf richterliche Entscheidungen hoffen, die ja u.a. ausschlaggebend waren für die Anerkennung von Sucht als Krankheit und für das Zustandekommen der Suchtvereinbarung. Dies setzt jedoch voraus, dass Klienten und Einrichtungen bereit und in der Lage sind, sich auf diesen lang dauernden, mühsamen und kostspieligen Weg einzulassen – ohne gesicherte Erfolgschance. Der Gesetzgeber wird sich ohne Druck der Rechtsprechung nach aller Erfahrung nicht mit solchen Schnittstellenprobleme befassen, da das eine rechtlich höchst komplizierte Materie ist. Die Grundidee der Kommunalen Suchthilfenetzwerke geht dagegen davon aus, dass bei solchen Schnittstellenproblemen weniger grundsätzliche Lösungen versucht werden sollten, sondern dass im überschaubaren Kreis für einzelne Projekte oder auch für einzelne Hilfesuchende gangbare Wege und tragbare Lösungen gesucht werden – sowohl innerhalb eines gegebenen Ermessensspielraums als auch in Ausnutzung von Entscheidungsspielräumen im Einzelfall.

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